Digitaler Zugang für Gewerkschaften

Mit Flugblättern, Broschüren und dem Schwarzen Brett sprechen Gewerkschaften schon immer die Belegschaft in den Betrieben und Verwaltungen an. 1995 stellte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG vom 14.11.1995 – 1 BvR 601/92) klargestellt, dass Gespräche über Gewerkschaften oder eine Verteilung von Flugblättern zulässig ist, wenn die Arbeitsabläufe dadurch gar nicht oder nur geringfügig beeinträchtigt werden. Auch können die Gewerkschaften selbst entscheiden, wer für sie handelt – beschäftigte Mitglieder, Vertrauensleute oder Hauptamtliche. Ein Zutrittsrecht in die Betriebe für die Gewerkschaften ist durch das Grundgesetz (Art. 9 Abs. 3 GG) sowie durch das Betriebsverfassungsgesetz (§ 2 Abs. 2 BetrVG) verbrieft.

Nicht nur durch Corona verlagert sich aktuell die Kommunikation in vielen Betrieben ins Digitale. Gewerkschaften müssen deshalb Zugang zu dieser Sphäre haben. Die geltende Gesetzeslage und Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 20.01.2009, 1 AZR 515/08) räumt digitalen Zugangsrechte bereits ein. Gewerkschaften sind frei in ihrer Entscheidung, welche Mittel sie für ihre Betätigung im Betrieb nutzt. Gewerkschaften können sich ohne jedes rechtliche Hindernis dafür entscheiden, die Beschäftigten per E-Mail zu kontaktieren. Die Nutzung des dienstlichen E-Mail-Anschlusses, der dem Arbeitgeber gehört oder über den er zumindest verfügt, ist ein so geringer Eingriff in die Rechte des Arbeitgebers, dass die Betätigungsfreiheit der Gewerkschaften nach Art. 9 Abs. 3 GG Vorrang hat.

Eine Ausnahme scheint es zu geben: Wird der Bereich der Information und Werbung verlassen und zum Arbeitskampf aufgerufen, soll der Gewerkschaft der Weg über die Versendung von E-Mails verschlossen sein (BAG 15.10.2013 – 1 ABR 31/12). Dies sei dem Arbeitgeber nicht zuzumuten. Allerdings gibt es anderslautende Gerichtsentscheidungen wie z.B. zur Nutzung eines Firmenparkplatzes für die Vorbereitung eines Arbeitskampfes. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG 09.07.2020 – 1 BvR 719/19) hat dazu entschieden, dass diese Nutzung von Art. 9 Abs. 3 GG gedeckt ist. Vor allem deshalb, weil die örtlichen Gegebenheiten die Ansprache durch Gewerkschaften andernfalls nicht ermöglichten.

Ist es ähnlich schwierig, die Belegschaft anders als über E-Mail zu erreichen, kann es wohl keinen Unterschied machen, ob der firmeneigene Parkplatz oder das firmeneigene Netz benutzt wird. Hier kann sich die Rechtsprechung sicherlich noch weiterentwickeln.

Übrigens gilt: Betriebsräte können ohne Verstoß gegen Datenschutz eine Liste von Betriebsangehörigen an die Gewerkschaft weitergeben (ausführlich in HSI-Schriftenreiche Band 41 – Interessenvertretung durch Betriebsrat und Gewerkschaften im digitalen Betrieb, Frankfurt am Main, 2022).

Des Weiteren kann der Betriebsrat nach der Rechtsprechung des BAG eine eigene Homepage im Intranet einrichten lassen (BAG 1.12.2004 – 7 ABR 18/04). Dort kann er nicht nur sein eigenes Informationsangebot an die Beschäftigten veröffentlichen, sondern auch einen Link zur zuständigen Gewerkschaft platzieren. Das verstößt nicht gegen den Grundsatz der gewerkschaftspolitischen Neutralität.

Dies gilt auch für Personalräte – das neu gefasste Bundespersonalvertretungsgesetz enthält in § 9 Abs. 3 Satz 2 BPersVG folgenden Satz: „Auf Verlangen einer Gewerkschaft oder einer Vereinigung der Arbeitgeber hat die Dienststelle in ihrem Intranet auf den Internetauftritt der Gewerkschaft oder der Arbeitgebervereinigung zu verlinken.“ Die Begründung dazu ist sehr interessant:

„Durch die Digitalisierung wächst der Anteil der Beschäftigten, die ortsungebunden oder in flexiblen Arbeitszeitmodellen arbeiten. Für die Gewerkschaften sind diese Beschäftigten auf dem herkömmlichen Weg über Aushänge (Schwarzes Brett), durch Informationsschreiben an die Beschäftigten über die Hauspost oder mittels Ansprache nicht mehr zuverlässig zu erreichen. Damit die Gewerkschaften ihre Aufgaben und Befugnisse (…) weiterhin effektiv wahrnehmen können, wird das herkömmliche Zugangsrecht der Gewerkschaften durch ein elektronisches Zugangsrecht ergänzt (…). Die Regelung gibt insbesondere den Gewerkschaften bessere Möglichkeiten an die Hand, im Rahmen ihrer Aufgaben (…) die Beschäftigten einer Dienststelle zeit- und ortsungebunden über aktuelle Informationen und ihre Anliegen zu unterrichten. Die dauerhafte Repräsentation der Gewerkschaften im Intranet der Dienststelle erhöht die Sichtbarkeit der Gewerkschaften und stärkt das Koalitionsrecht aus Art. 9 Absatz 3 GG“.

Literatur

Däubler: Digitalisierung und Arbeitsrecht, 6. Auflage, Frankfurt am Main 2018

Däubler: Interessenvertretung durch Betriebsrat und Gewerkschaften im digitalen Betrieb, HSI-Schriftenreihe Band 41, Frankfurt am Main 2022

Taeger / Gabel (Hrsg.): Kommentar DSGVO – BDSG – TTDSG, 4. Auflage, Frankfurt am Main 2022